Aufwendungen für die krankheits-, pflege- und behinderungsbedingte Unterbringung in einer dem jeweiligen Landesrecht unterliegenden Wohngemeinschaft sind als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Hintergrund
Die Kläger sind Eheleute. Sie wurden im Streitjahr 2016 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der in 1965 geborene Kläger ist seit Januar 2007 aufgrund eines Motorradunfalls und eines Hirntumors schwerbehindert. Sein Schwerbehindertenausweis weist als Grad der Behinderung 100 und die Merkzeichen G (erheblich gehbehindert), B (Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nötig) und H (hilflos) aus. Zum 1.1.2017 wurde er von der Pflegekasse in Pflegegrad 4 (schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit) übergeleitet. Seit November 2015 wohnt er gemeinsam mit anderen pflegebedürftigen Menschen in einer selbstverantworteten Wohngemeinschaft mit Betreuungsleistungen i. S. d. § 24 Abs. 2 WTG NW, in der er rund um die Uhr von einem ambulanten Pflegedienst und Ergänzungskräften betreut, gepflegt und hauswirtschaftlich versorgt wird. Die Klägerin wohnte weiterhin mit den beiden Kindern im Eigenheim der Kläger.
Für sein teilmöbliertes Zimmer entrichtete der Kläger eine monatliche Miete i. H. v. 250 EUR. Zuzüglich zahlte er einen (Fest-)Betrag i. H. v. 13.920 EUR an die Vermieter für Kost und andere Lebenshaltungskosten sowie hauswirtschaftliche Hilfs- und Betreuungsleistungen.
Seit Dezember 2015 bezog der Kläger einen (Wohngruppen-)Zuschlag nach § 38a SGB XI, der von der Pflegekasse unmittelbar an den, den Kläger betreuenden, ambulanten Pflegedienst geleistet wurde.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger die Aufwendungen für die Unterbringung in der Wohngemeinschaft gem. § 33 EStG sowie den erhöhten Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b EStG i. H. v. 3.700 EUR geltend.
Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr und im anschließenden Einspruchsverfahren gewährte das Finanzamt zwar den Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b EStG, erkannte jedoch die Aufwendungen für die Unterbringung in der Wohngruppe nicht als außergewöhnliche Belastung an. Es begründete dies damit, dass der Kläger nicht in einem Heim i. S. d. § 1 HeimG bzw. in einer sog. Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot nach § 18 Abs. 1 WTG NW, sondern in einer selbstverantworteten Wohngemeinschaft untergebracht sei. Eine solche unterfalle gem. § 25 WTG NW nicht den Anforderungen des Wohn- und Teilhabegesetzes.
Der hiergegen erhobenen Klage gab das FG teilweise statt. Den Behinderten-Pauschbetrag gem. § 33b EStG berücksichtigte es im Einverständnis mit den Klägern nicht.
Entscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen.
Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Dies gilt auch für Aufwendungen für die krankheits- oder pflegebedingte Unterbringung des Steuerpflichtigen in einer dafür vorgesehenen Einrichtung, sodass die Aufwendungen dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung i. S. d. § 33 EStG zu berücksichtigen sind. Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten. Erforderlich ist lediglich, dass die Aufwendungen mit der Krankheit und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerpflichtige behinderungsbedingt in einer dafür vorgesehenen Einrichtung untergebracht ist.
Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung sind allerdings um eine Haushaltsersparnis, die der Höhe nach den ersparten Verpflegungs- und Unterbringungskosten entspricht, zu kürzen, es sei denn, der Pflegebedürftige behält seinen Haushalt bei. Die Haushaltsersparnis des Steuerpflichtigen schätzt die Rechtsprechung entsprechend dem in § 33a Abs. 1 EStG vorgesehenen Höchstbetrag für den Unterhalt unterhaltsbedürftiger Personen.
Der Kläger war aufgrund seiner schweren Behinderung und der damit einhergehenden Pflegebedürftigkeit in einer Wohngemeinschaft mit Betreuungsleistungen nach § 24 WTG NW untergebracht. Hierbei handelt es sich um ein Wohn- und Betreuungsangebot, in dem mehrere ältere oder pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung in einer Wohnung mit einem gemeinsamen Hausstand leben und ihnen von einem oder mehreren Leistungsanbietern Betreuungsleistungen angeboten werden. Demgemäß haben Pflegebedürftige, die mit mindestens 2 und höchstens 11 weiteren Personen in einer (solchen selbstverantworteten) ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens 2 weitere Personen pflegebedürftig i. S. d. §§ 14, 15 SGB XI sind, unter weiteren Voraussetzungen, einen Anspruch auf einen pauschalen (Wohngruppen-)Zuschlag gegenüber der Pflegekasse. Diesen Zuschlag erhielt auch der Kläger.
Die Unterbringung des Klägers in der selbstverantworteten Wohngemeinschaft ist danach seiner Pflegebedürftigkeit geschuldet. Die Kosten der Unterbringung sind den Klägern damit aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf es nicht. Erforderlich ist lediglich, dass die Aufwendungen – wie im Streitfall unstreitig – mit der durch die Behinderung eingetretenen Pflegebedürftigkeit in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen.
Der Umstand, dass der Kläger nicht in einem Heim i. S. d. § 1 HeimG bzw. in einer Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot nach § 18 Abs. 1 WTG NW untergebracht ist, steht der Anerkennung der Unterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG nicht entgegen.
Dahingehendes ist weder im Tatbestand des § 33 EStG angelegt, noch hat der BFH die Unterbringung des Steuerpflichtigen in einem Heim i. S. d. § 1 HeimG bzw. in einer Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot nach § 18 Abs. 1 WTG NW zur Abzugsvoraussetzung für die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung erhoben.
Voraussetzung für den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG ist nicht, dass dem Kläger von dem Betreiber der Einrichtung neben Wohnraum auch Betreuungsleistungen zur Verfügung gestellt werden und damit eine umfassende Gesamtversorgung „aus einer Hand“ erbracht wird. Ausreichend ist, dass der Kläger als (Mit-)Bewohner einer Wohngemeinschaft jenseits der Wohnraumüberlassung von einem oder mehreren (externen) Leistungsanbietern (gemeinschaftlich organisiert) Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen bezieht.
Ohne Bedeutung ist auch, ob die Wohngemeinschaft der Heimaufsicht, der behördlichen Qualitätssicherung oder einer anderen Form der Überwachung unterliegt.
Es bedarf daher auch nicht der Unterscheidung, ob es sich um eine anbieterverantwortete Wohngemeinschaft oder um eine selbstverantwortete Wohngemeinschaft handelt. Denn beide Wohngemeinschaften dienen nicht anders als ein „Heim“ oder eine Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot zuvörderst dem Zweck, ältere oder pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung aufzunehmen und ihnen Wohnraum zu überlassen, in dem die notwendigen Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen erbracht werden.
Die Unterbringungskosten sind jedoch nur insoweit abziehbar, als sie die Haushaltsersparnis übersteigen, da dem Kläger nur insoweit gegenüber der normalen Lebensführung zusätzliche und damit berücksichtigungsfähige Mehraufwendungen entstanden sind.
Eine Berücksichtigung des Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b EStG neben den Aufwendungen für die behinderungsbedingte Unterbringung kommt nicht in Betracht.