Werden Einnahmen eines angestellten Chefarztes irrtümlich sowohl bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit als auch bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit erklärt, liegt kein „grobes Verschulden“ vor. Der entsprechende Steuerbescheid kann trotz Bestandskraft geändert werden.
Hintergrund
Der Kläger ist als leitender Abteilungsarzt in einem Krankenhaus tätig. Im Streitjahr wurden bei der Einkommensteuerveranlagung dieselben Einnahmen aus Wahlleistungen sowohl bei den Einkünften aus selbständiger als auch aus nichtselbstständiger Arbeit berücksichtigt und damit doppelt besteuert.
Die Einnahmen des Klägers aus den stationär erbrachten Wahlleistungen behandelte das Krankenhaus als Bezüge aus dem Dienstverhältnis und unterwarf diese daher dem Lohnsteuerabzug. Die Einnahmen aus der ambulanten wahlärztlichen Tätigkeit des Klägers berücksichtigte es dabei nicht, weil es insoweit von außerhalb des Dienstverhältnisses erbrachten Leistungen ausging. Eine Mitteilung des Krankenhauses, welche der Einnahmen aus den wahlärztlichen Leistungen dem Lohnsteuerabzug unterlegen hatten, erhielt der Kläger nicht. Die als lohnsteuerpflichtig eingestuften Einnahmen wurden in den Gehaltsmitteilungen neben zahlreichen weiteren Angaben und ohne weitere Konkretisierung in der Zeile „Mitversteuerung“ ausgewiesen.
In ihren Einkommensteuererklärungen erklärten die steuerlich vertretenen Kläger die Vergütungen aus sämtlichen wahlärztlichen Leistungen als Betriebseinnahmen aus selbstständiger Arbeit. Das Finanzamt veranlagte die Kläger erklärungsgemäß. Die Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2012 wurden bestandskräftig. Mit Schreiben vom 19.12.2014 beantragten die Kläger eine Änderung der Bescheide gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO mit der Begründung, es sei ihnen erst nachträglich bekannt geworden, dass die Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen vom Krankenhaus dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden seien.
Finanzamt und FG lehnten die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids ab. Das FG begründete die Klageabweisung u. a. damit, dass die Kläger hinsichtlich der unrichtigen Angabe der Einkünfte ein grobes Verschulden treffe.
Entscheidung
Auf die Revision der Kläger wurde das Urteil des FG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das FG habe zu Unrecht die von den Klägern begehrte Änderung abgelehnt. Die Sache war jedoch nicht spruchreif. Der BFH konnte auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, in welcher konkreten Höhe die Einnahmen doppelt berücksichtigt wurden.
Im Streitfall ist dem Finanzamt, auf dessen Kenntnis es bei der Anwendung des § 173 AO ankommt, eine Tatsache i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nachträglich bekannt geworden. Denn das Finanzamt hat erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit Kenntnis davon erlangt, dass die Kläger die streitgegenständlichen Einnahmen doppelt erfasst haben.
Im Streitfall hat das FG den Begriff des „groben Verschuldens“ unzutreffend ausgelegt, weil es an die Voraussetzungen, unter denen die doppelte Erklärung der Einnahmen als entschuldbar anzusehen ist, zu hohe Anforderungen gestellt hat.
Die Annahme des FG, dem Kläger habe sich die doppelte steuerliche Erfassung seiner Einnahmen aus den stationären Wahlleistungen aufdrängen müssen, weil diese bei zutreffender Auslegung der dienstvertraglichen Regelungen nur bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit hätten erfasst werden dürfen, berücksichtigt nicht hinreichend, dass die Frage, ob wahlärztliche Leistungen innerhalb oder außerhalb des Dienstverhältnisses erbracht werden, nur aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden kann.
Beruht eine fehlerhafte Steuererklärung jedoch, wie das FG angenommen hat, auch auf einem Rechtsirrtum, ist dies dem Steuerpflichtigen i. d. R. nicht als grobes Verschulden anzulasten. Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige regelmäßig nur dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet. Ein solcher Fall liegt hier unstreitig nicht vor.
Im Urteilsfall ist der Steuerberater nach Prüfung der Rechtslage zu der Auffassung gelangt, dass die Einnahmen des Klägers aus der Erbringung wahlärztlicher Leistungen zu Einkünften aus selbstständiger Arbeit gehören. Es liegt daher kein grobes Verschulden darin, dass er angesichts der Angabe der gesamten Einnahmen aus der wahlärztlichen Tätigkeit durch die Kläger als Betriebseinnahmen und der Auszahlung der Vergütungen außerhalb der Lohnzahlungen nicht geprüft hat, ob diese Einnahmen vom Arbeitgeber auch noch teilweise oder vollständig der Lohnsteuer unterworfen worden waren.
Die zu Lasten der Kläger unzutreffende Steuerfestsetzung beruhte darauf, dass die Einnahmen aus den stationären Chefarztbehandlungen unerkannt in dem aus den Lohnsteuerbescheinigungen ersichtlichen Bruttoarbeitslohn enthalten waren, so dass dessen Übertragung in die Einkommensteuererklärung im Ergebnis zu einer doppelten steuerlichen Erfassung führte. Kausal für den Doppelansatz war also nicht die unzureichende „Prüfung der steuerlichen Rechtslage“, sondern die fehlende Erkennbarkeit der Zusammensetzung des Bruttoarbeitslohns. Insbesondere begründet auch der Umstand, dass der steuerliche Berater die Angaben in der Einkommensteuererklärung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur anhand der Lohnsteuerbescheinigungen erstellt und nicht auch die monatlichen Gehaltsabrechnungen vom Kläger angefordert hat, nicht den Vorwurf der groben Sorgfaltspflichtverletzung. Der steuerliche Berater hatte im Urteilsfall keinen Anlass, die Richtigkeit der Lohnsteuerbescheinigungen in Zweifel zu ziehen.